Sie waren seelenverwandt

Der Fotograf David Douglas Duncan über die Beziehung zwischen Picasso und dem Dackel Lump

BUCHTIPP  David Douglas Duncan   Picasso & Lump    A Dachshund's Odyssey

Es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein – zumindest für den Dackel Lump. Auf dem Beifahrersitz eines edlen Mercedes-Cabrio 300 SL mit Flügeltüren rauschte der Vierbeiner eines schönen Tages im April 1957 mit seinem Herrchen, dem Fotografen David Douglas Duncan, in Richtung Côte d’Azur. Sie wollten Picasso auf dessen Anwesen in der Nähe von Cannes besuchen. Rückblickend entsinnt sich der Fotograf: „Als ich Picasso besuchte, kam Lumpi mit, sah sich um: Das ist meins – ciao! – und verließ mich, um mit Picasso zu leben.“

 

Die eigenwillige Entscheidung des Dackels muss den Künstler beeindruckt haben. Und mehr noch: Lump wurde zur längsten, intensivsten und glücklichsten Beziehung, die Picasso je führen sollte. Schließlich war der gebürtige Spanier berüchtigt für seinen groben Umgang mit seinen Lebenspartnerinnen. Derer hatte er offi ziell nacheinander mindestens sechs. Zwei davon heiratete er – erst die Tänzerin Olga Koklowa, viel später Jacqueline Roque, die auch Lump erleben sollte. Wirklich begeistert kann Jacqueline nicht von Lump gewesen sein. Zunächst fand sie den Dackel wohl noch lustig, aber langsam muss er ihr unheimlich geworden sein. Fotograf David Duncan jedenfalls erinnert sich an besagtes erstes Treffen von Hund und Künstler: „Picasso malte ein Porträt von Lump auf einen Teller. Das hat er nicht mal für Millionäre gemacht. Nur für Lump!

 

Sein berühmtes Herrchen verschaffte Lump eine gewisse Popularität. Der Dackel gilt heute als eines der bedeutendsten Tiermodelle der Kunstgeschichte. Immer öfter nahm Picasso den Vierbeiner in seine unzähligen Bilder auf. Eines der bekanntesten Beispiele dafür hängt im Picasso-Museum in Barcelona. Dort findet sich ein Gemälde Picassos, das „Las Meninas“ („Die Hoffräulein“) des Malers Velasquez nachempfunden ist. Anstelle des stattlichen Wolfshunds, der im Original im Vordergrund liegt, ist auf Picassos kubistischem Gemälde wer? – ja genau, Lump zu sehen!

 

„Was zwischen Picasso und Lump war?“, fragt David Douglas Duncan und gibt die Antwort selbst: „Sie waren seelenverwandt. Picasso war ein Einzelgänger. Einer, der sein Leben schnurgerade geht. Und Lump auch. Wenn man ihn aufhob, drehte er sich weg. Ich glaube, er mochte mich. Aber er konnte es nicht leiden, wenn man ihn festhielt.“ Lump wusste genau, was er wollte: Er wollte bei Picasso sein, in dessen herrlichen Haus mit großem Garten. Er folgte dem Maler auf Schritt und Tritt, schlief, während der Künstler arbeitete, oder spielte mit einem Papphasen, den Picasso eigens für ihn gebastelt hatte.

 

Und der Künstler selbst? Verfiel dem eigensinnigen Dackel mit Haut und Haar! Picasso hatte schon mehrere Hunde gehabt – bei der Ankunft Lumps beispielsweise tummelte sich der Boxer Yan auf dem Gelände. Aber keinen Hund liebte der Künstler so sehr wie Lump. „Wenn Picasso ihn ansah, leuchtete eine warme Sanftmut in seinen Augen auf, ganz kurz, kaum mit der Kamera festzuhalten“, entsinnt sich der Fotograf. Picasso nahm andere Hunde nie auf den Arm – Lump hingegen immer gerne, und der Dackel ließ ihn gewähren. Glücklicherweise war David Duncan in der Nähe und drückte ab, so dass Fotos der einzigartigen Verbindung erhalten sind.

 

Lump genoss also ein herrliches Leben. Picasso vermählte ihn mit der Dackeldame Lolita, die einem Nachfahren des Schriftstellers Victor Hugo gehörte. Leider blieb Lump, anders als sein Herrchen, kinderlos. Und so wurden sie miteinander alt, Hund und Maler. Der Dackel erreichte Berechnungen zufolge ein Alter von mehr als 17 Jahren. Ihn segnete am 29. März 1973 das Zeitliche. Sein Herrchen, Pablo Picasso, folgte ihm zehn Tage später.

Quelle: freunde – das Tiermagazin
Ausgabe 3/2008